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Und was ist im Endeffekt der Unterschied?

Der Unterschied liegt in Wahrnehmen, Einordnung, Analyse und wie man dem als Entwicklung begegnet (es ist kein Kampf gegen "alte Werte" oder gar Überzeugungen, es ist im Gegenteil ein Kampf gegen nihilistischen, performativen Gebrauch dieser Werte). Die interessanten Stellen aus dem Artikel zur Unterscheidungsfrage:

Vergangenheit gegen Zukunft, Tradition gegen Fortschritt – sie gegen uns. Doch so eingängig dieses Bild ist, so falsch ist es auch. Die Geschichte steht niemals still, und in ihrer endlosen Bewegung verliert derjenige, der dies als Letzter erkennt. Deshalb ist es ein großer Fehler der Linken, den Rechtsruck in der Weltpolitik als bloßes Echo vergangener Zeiten zu bewerten.

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Die heutigen Konservativen haben kaum noch etwas mit dem zu tun, was Konservatismus früher einmal bedeutete. Im Gegenteil: Trotz all ihrer Kritik an der Identitätspolitik, der Zerstörung der Institution der Familie, der Massenmigration und der Modernität im Allgemeinen verkörpern Donald Trump und Wladimir Putin geradezu mustergültig unsere gegenwärtige Ära, die schließlich vor allem durch Entsolidarisierung geprägt ist. Ihre Politik ist deren ultimativer Ausdruck. Um die zunehmende Popularität der Rechten in den letzten Jahren zu verstehen, muss man sie als Teil der Moderne und nicht als ihr Gegenteil betrachten.

[...]

Bemerkenswert ist, dass der russische Präsident selbst kaum auf die Beschreibung eines Konservativen passt. Als geschiedener Mann hat er wahrscheinlich nicht nur von Zeit zu Zeit seine Geliebte gewechselt, sondern auch seine Kinder vor der Öffentlichkeit versteckt, ohne zu sagen, wie sie heißen oder wie viele er überhaupt hat. In seiner Jugend arbeitete er für den KGB, eine Struktur, die von Sympathien für die russische Kirche und traditionelle Werte so weit entfernt ist wie nur möglich. Von konservativer Mäßigung kann keine Rede sein: Putin ist mit seiner Vorliebe für Yachten, Paläste und andere Luxusgüter zu einem klassischen Beispiel für auffälligen Konsum geworden, wie die bekannten russischen Oligarchen. Aber ist das ein Makel in seinem Image? Ganz und gar nicht, denn all das ist kein Fehler des Systems, sondern ein Prinzip seiner Funktionsweise.

Man kann diese Funktionsweise mit einem leicht abgewandelten lateinamerikanischen Sprichwort beschrieben: Im Original lautet es »den Freunden alles, dem Rest – das Gesetz«, doch ersetzt man das Gesetz durch den Konservatismus, trifft es ziemlich genau die hier wirksame Logik. Der Ruf nach der Rückkehr zur Tradition spiegelt nicht die Überzeugungen der herrschenden Klasse wider, sondern ist nur eine zynische Maske, eine Technik zur Disziplinierung und Kontrolle der Gesellschaft. Deshalb ist ein solcher Konservatismus nicht nach innen gerichtet, um die Eliten zur Einhaltung strenger Regeln anzuhalten, sondern ausschließlich nach außen, um all jene zu stigmatisieren und zu unterdrücken, die nicht mit der Obrigkeit übereinstimmen und eine Gefahr für sie darstellen.

[...]

Der amerikanische Präsident befindet sich, wenn auch im Rahmen eines anderen Systems, in einer ähnlichen Situation. Auch er ist ein Produkt der Ära des absoluten Triumphs des Marktdenkens, in der die persönliche Marke und die öffentliche Selbstdarstellung eine viel wichtigere Rolle spielen als die wirklichen Überzeugungen des Einzelnen. Wie sein russisches Gegenüber ist Trump in erster Linie ein frecher, machtbewusster und eigenwilliger Individualist, dessen konservatives Image ein Feigenblatt ist, das seinen übergroßen Wunsch nach uneingeschränkter Macht nur leidlich verbirgt.

In diesem Bestreben appelliert er wie Putin an die »einfachen Leute« und verspricht ihnen, durch die Verteidigung der traditionellen Werte ihrem Land seine verlorene Größe zurückzugeben. Doch er selbst verkörpert genau das, was diese Größe einst zerstört hat: eine räuberische, nahezu grenzenlose Marktlogik, in der die Verlierer selbst für ihr Scheitern verantwortlich gemacht werden, während die Sieger absolute Macht genießen

[...]

Am Ende widersprechen Putin und Trump nicht dem Zeitgeist – sie treiben ihn lediglich auf die Spitze und verstärken die Schattenseiten des Neoliberalismus. Indem sie Demokratie in ein Spektakel verwandeln, bei dem mediale Dominanz über alles entscheidet, liefern sie eine Erfolgsformel, die weltweit immer mehr Nachahmung findet. Die Auswirkungen davon sind bereits in Europa zu sehen, wo Rechtspopulisten – von Deutschland bis Ungarn – durch eine unerbittliche Informationsüberflutung ihrer eigenen Bürgerinnen und Bürger in den sozialen Medien immer erfolgreicher werden.

Die Nähe zwischen Trump, Putin und anderen sogenannten »neuen Konservativen« ist das freundliche Wiedererkennen unter Spielern desselben neuen Spiels – einem Spiel, in dem »Tradition« nur als Vorwand dient, um ein System zu erhalten, in dem das oberste eine Prozent der Reichsten über unbegrenzte Ressourcen verfügt, während diejenigen, die am meisten Hilfe brauchen, als »Verlierer« weiter am Rande des Lebens stehen.